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Das Endocannabinoidsystem - Teil I
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Zwei aufeinanderfolgende Beiträge bieten eine Übersicht über das Endocannabinoidsystem des menschlichen Körpers. Es handelt sich um ein System aus (1) körpereigenen Cannabinoiden, (2) Bindungsstellen (Rezeptoren) für diese körpereigenen Cannabinoide sowie (3) Eiweißstoffen, die für die Produktion und den Abbau der körpereigenen Cannabinoide bzw. Endocannabinoide verantwortlich sind.
In diesem ersten Teil geht es um den Aufbau und die Funktionsweise des Endocannabinoidsystems sowie seine Bedeutung im Gehirn.
Der zweite Teil in der nächsten Ausgabe behandelt die vielfältigen Funktionen des Endocannabinoidsystems außerhalb des Gehirns, also beispielsweise im Immunsystem, im Magen-Darm-Trakt, in den Geschlechtsorganen und in der Haut. Das Verständnis dieses wichtigen Regulationssystems des Körpers ermöglicht es, auch die Wirkungsweise von Cannabis bzw. einzelner Cannabinoide der Cannabispflanze besser zu verstehen.
Erste Schritte
Die moderne Cannabinoidforschung, die vor etwa 50 Jahren begann, wurde zunächst initiiert, um die Wirkung einer illegalen Droge zu verstehen. Nachdem die Chemie der Pflanze und die pharmakologischen und psychologischen Wirkungen von THC in den 60er und 70er Jahren zumindest teilweise verstanden waren, veränderte sich das Forschungsfeld. Ab Mitte der 80er Jahre begann die Erforschung der Wirkungsweise von THC und anderen Cannabinoiden der Hanfpflanze im Körper und damit die Entdeckung des Endocannabinoidsystems. Bald wurde klar, dass dieses körpereigene Regulationssystem an vielen Körperfunktionen beteiligt ist, und sein Verständnis öffnete einen neuen Blick auf grundlegende physiologische Prozesse während Gesundheit und Krankheit und auf die Funktionsweise des Gehirns.
In den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde der wichtigste psychoaktive Inhaltsstoff von Cannabis entdeckt und zunächst Charras-Tetrahydrocannabinol genannt. Die chemische Struktur konnte allerdings noch nicht vollständig aufgeklärt werden. Im Jahr 1964 gelang die vollständige Aufklärung der chemischen Struktur des Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC). Etwa 30 Jahre später wurden die ersten körpereigenen Cannabinoide entdeckt, Arachidonoylethanolamid (Anandamid, AEA) im Jahr 1992 und 2-Arachidonoylglycerol (2-AG) im Jahr 1995. Seither hat die Erforschung der Wirkungen von Endocannabinoiden auf die menschliche Gesundheit und Erkrankungen einen immer größeren Umfang angenommen.
Endocannabinoid-Rezeptoren
Ursprünglich war man davon ausgegangen, dass THC unspezifisch auf die äußeren Schichten der Zellen, auf die Zellmembranen, wirkt, indem es beispielsweise wie Alkohol die Beweglichkeit und Durchlässigkeit dieser Zellmembranen verändere. Es gibt keinen Alkohol-Rezeptor, und zunächst ging man davon aus, dass es auch keinen Cannabinoid-Rezeptor gibt.
Mitte der 80er Jahre änderte sich diese Sichtweise, da es vermehrt Hinweise auf spezifische Cannabinoid-Wirkungen gab. Schließlich konnten amerikanische Wissenschaftler 1987 nachweisen, dass es in der Tat spezifische Bindungsstellen im Gehirn für THC geben muss. Ihre Verteilung im Gehirn stimmte mit den pharmakologischen Eigenschaften von THC und anderen (synthetischen) Cannabinoiden, die psychische Wirkungen verursachen, überein. Im Jahr 1990 gelang es schließlich, die chemische Struktur des ersten Cannabinoid-Rezeptors zu entschlüsseln. Wenig später wurde ein zweiter Cannabinoid-Rezeptor in der Milz nachgewiesen.
Der Cannabinoid-1-Rezeptor
Ursprünglich hatte man geglaubt, dass der CB1-Rezeptor (Cannabinoid-1-Rezeptor) nur im zentralen Nervensystem zu finden ist, so dass er als Gehirn-Cannabinoid-Rezeptor betrachtet wurde. Wir wissen heute, dass er in vielen Organen vorkommt, wenn seine Konzentration in einigen dieser Organe auch relativ niedrig ist. Der CB1-Rezeptor zählt zu einigen der häufigsten Rezeptoren im Gehirn. Die höchsten Konzentrationen finden sich unter anderem in den Basalganglien des Gehirns, die eine Rolle bei der Koordination von Bewegungen spielen, oder im Hippocampus, der wichtig für die Umwandlung kurzzeitiger Informationen in langzeitige Gedächtnisinhalte oder für die räumliche Orientierung ist. CB1-Rezeptoren finden sich in vielen Regionen, die eine wichtige Rolle bei der sensorischen Wahrnehmung (Geschmack, Geruch, Tastsinn, Gehör), bei der geistigen Leistungsfähigkeit und der Motivation spielen. Werden CB1-Rezeptoren im Gehirn aktiviert, so nimmt die sensorische Wahrnehmung zu und so intensiviert sich der Geschmack von Nahrung.
Dagegen gibt es keine CB1-Rezeptoren im Hirnstamm, der unter anderem für die Kontrolle der Atmung und des Herzkreislaufsystems verantwortlich ist. Man geht heute davon aus, dass es bei Gesunden keine Todesfälle durch eine Überdosis Cannabis oder THC gibt, weil die Funktionen des Hirnstammes durch eine solche Überdosierung nicht beeinträchtigt werden können.
Die Schutzfunktion des CB1-Rezeptors
Cannabinoid-1-Rezeptoren finden sich am Ende der Nervenzellen, dort, wo ein Signal durch den Spalt zwischen zwei Nervenzellen von einer Nervenzelle zur anderen weitergegeben wird. Die wichtigste Funktion der CB1-Rezeptoren im Nervensystem ist die Hemmung einer zu starken Signalweitergabe durch Botenstoffe im Gehirn, so genannte Neurotransmitter. Durch die Aktivierung von CB1-Rezeptoren wird eine Überaktivität aller Botenstoffe im Gehirn (Glutamat, Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, usw.) gehemmt. Das Endocannabinoidsystem übt also vielfältige Schutzfunktionen vor Übererregungen im zentralen Nervensystem aus. Das erklärt das breite Wirkungsspektrum von THC bzw. Cannabis. Wenn THC an CB1-Rezeptoren bindet, dann wird eine zu hohe Aktivität in den Schmerzregelkreisen des Gehirns gehemmt und der Schmerz dadurch gelindert. Wenn in Regionen, die für Übelkeit und Erbrechen zuständig sind, eine zu hohe Aktivität an Neurotransmittern auftritt, dann kann eine Aktivierung des CB1-Rezeptors diese erhöhte Aktivität reduzieren. Durch ähnliche Mechanismen werden Muskelspastik, epileptische Anfälle, Angststörungen, Zwangsstörungen, Hyperaktivität und weitere Krankheitssymptome durch eine Aktivierung des Endocannabinoidsystems abgeschwächt. Eine zusätzliche Aktivierung des CB1-Rezeptors durch pflanzliche Cannabinoide kann diesen Effekt bei Erkrankungen verstärken.
Der Cannabinoid-2-Rezeptor
Ursprünglich dachte man, dass CB2-Rezeptoren nur im Immunsystem außerhalb des Gehirns vorkommen. Sie wurden jedoch schließlich auch im gesamten zentralen Nervensystem nachgewiesen, insbesondere in Mikroglia-Zellen, wenn auch in geringerer Konzentration als CB1-Rezeptoren. Mikroglia-Zellen sind für die Immunabwehr im Gehirn von entscheidender Bedeutung.
Der Körper des Menschen und anderer Säugetiere besitzt ein hoch entwickeltes Immunsystem, das ihn vor Angriffen durch Viren, Bakterien und andere potenziell schädliche äußere Einflüsse schützt und darauf abzielt, den Schaden zu verhindern, abzuschwächen und zu reparieren. Das Endocannabinoidsystem stellt über seine CB2-Rezeptoren einen Teil dieses Schutzmechanismus‘ dar.
Endogene Cannabinoide
Die Entdeckung von Cannabinoid-Rezeptoren legte nahe, dass es körpereigene Substanzen gibt, die an diese Rezeptoren binden. In der Tat wurde 1992 erstmals ein solches Endocannabinoid nachgewiesen. Seine Entdecker nannten es Anandamid vom Sanskrit-Wort "Ananda" für Glückseligkeit und "Amid" wegen seiner chemischen Struktur. 1995 wurde ein zweites Endocannabinoid, das 2-AG (2-Arachidonoylglycerol) entdeckt. Diese beiden Endocannabinoide sind bisher am besten erforscht. Heute geht man von etwa 200 Substanzen aus, die den entdeckten Endocannabinoiden in ihrer chemischen Struktur ähneln.
Im Gegensatz zu den meisten Neurotransmittern, also Botenstoffen im Gehirn, werden sie nicht von der Nervenzelle produziert, die ein Signal an eine andere Nervenzelle weitergibt, sondern von der Nervenzelle, die das Signal empfängt. Wenn das Signal, also die Konzentration der Neurotransmitter zu groß ist, werden verstärkt Endocannabinoide gebildet, die über die Aktivierung von CB1-Rezeptoren diese übermäßige Neurotransmitter-Aktivität bzw. zu starke Abgabe von Neurotransmittern reduzieren.
Verschiedene Endocannabinoide können nicht nur an Cannabinoid-Rezeptoren binden, sondern auch an einen vermuteten CB3-Rezeptor, den GPR55-Rezeptor, an Vanilloid-Rezeptoren und an weitere Rezeptoren.
Die Proteine, die für die Synthese von Endocannabinoiden verantwortlich sind, haben so klingende Namen wie N-Acyltransferase (NAT), N-Acylphosphatidylethanolamin-spezifische Phospholipase (NAPE-PLD) oder Diacylglycerollipase (DAGL). Das wichtigste Protein für den Abbau von Anandamid ist die Fettsäureamidhydrolase (FAAH) und für den Abbau von 2-AG Monoacylglycerollipase (MAGL).
Weniger gut erforschte Endocannabinoide
Es gibt eine Vielzahl Anandamid-ähnlicher Substanzen, die im Gehirn entdeckt wurden. Nur von wenigen wurde bisher ihre Wirkung untersucht. Bei denen, die untersucht wurden, wurden recht unterschiedliche pharmakologische Effekte festgestellt. So hat beispielsweise Arachidonoylserin gefäßerweiternde Eigenschaften und verringert Schäden durch Hirnverletzungen. Oleoylserin weist Wirkungen gegen die Osteoporose auf. Oleoylethanolamid reguliert die Nahrungsaufnahme und das Körpergewicht. Stearoylethanolamid zeigt Aktivitäten, die den programmierten Zelltod fördern. Palmitoylethanolamid wirkt entzündungshemmend und könnte nervenschützend beim Schlaganfall sein. Arachidonoylglycin wirkt schmerzlindernd.
Es muss einen Grund geben, warum unser Körper so viele unterschiedliche Endocannabinoide produziert und nicht nur einige wenige. Man kann beispielsweise darüber spekulieren, ob unterschiedliche Konzentrationen von Endocannabinoiden mit ihren subtilen physiologischen und psychologischen Wirkungen im Gehirn mitverantwortlich für unterschiedliche Persönlichkeitsstrukturen sind, also für die vielfältigen Unterschiede zwischen verschiedenen Menschen.
Funktionen des Endocannabinoidsystems im Gehirn
Das Endocannabinoidsystem spielt im Gehirn eine Rolle bei Angst und Depressionen, bei der Neubildung von Nervenzellen, es wirkt auf das Belohnungssystem des Gehirns und hat damit einen Einfluss auf die Abhängigkeit von Drogen und andere Abhängigkeiten. Das Endocannabinoidsystem beeinflusst unsere geistige Leistungsfähigkeit, die Lernfähigkeit und das Gedächtnis. In diesem Zusammenhang wird die Auslöschung unangenehmer Erfahrungen durch das Endocannabinoidsystem bei der Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung genutzt. Die Wirkungen von Endocannabinoiden im Gehirn werden vor allem über CB1-Rezeptoren vermittelt, möglicherweise zum Teil auch über CB2-Rezeptoren.
Die Wirkungen von THC auf die Angst scheinen von der Dosis abzuhängen und werden durch Cannabidiol, ein weiteres Pflanzencannabinoid, moduliert. Eine der wichtigsten Funktionen des Endocannabinoidsystems im Gehirn ist die Regulation eines Systems, das der Stressbewältigung dient.
Viele Studien zeigen, dass Aktivatoren des CB1-Rezeptors, so genannte CB1-Rezeptoragonisten, wie beispielsweise THC, das Kurzzeitgedächtnis beeinflussen. Dieser Effekt kann durch hohe CBD-Dosen verhindert werden.
Interessanterweise könnte der Gedächtnisverlust im Alter durch die Aktivierung des Endocannabinoidsystems verringert werden. So zeigten Mäuse, die keine CB1-Rezeptoren besitzen, beschleunigte altersabhängige Defizite der geistigen Leistungsfähigkeit. Sie verloren zudem wichtige Nervenzellen im Hippocampus, was von einer Entzündung der Nervenzellen begleitet war. Diese Befunde legen nahe, dass CB1-Rezeptoren im Hippocampus vor einer altersbedingten Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit schützen könnten.
Es gibt Hinweise, dass Cannabidiol die Aktivität von Mikroglia-Zellen nach einer Gabe von Beta-Amyloid bei Mäusen und die anschließende Beeinträchtigung der Lernfähigkeit reduziert. Beta-Amyloid wird vermehrt bei der Alzheimer-Krankheit produziert. Das legt nahe, dass CBD möglicherweise bei der Behandlung des Morbus Alzheimer eingesetzt werden könnte.
Literatur:
Maccarrone M, Bab I, Bíró T, Cabral GA, Dey SK, Di Marzo V, Konje JC, Kunos G, Mechoulam R, Pacher P, Sharkey KA, Zimmer A. Endocannabinoid signaling at the periphery: 50 years after THC. Trends Pharmacol Sci 2015;36(5):277-96.
Mechoulam R, Parker LA. The endocannabinoid system and the brain. Annu Rev Psychol 2013;64:21-47.