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Das Geheimnis des Erfolges: die weniger bekannte Geschichte des neuen Medizingesetzes
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Viele kennen die letzten Etappen auf dem Weg zum am 19. Januar 2017 im Bundestag verabschiedeten Gesetz zur Erleichterung der medizinischen Verwendung von Cannabisblüten und Medikamenten auf Cannabisbasis. Viele haben von der Verfassungsbeschwerde und den Klagen auf Eigenanbau oder die letzte (aber nicht die erste) Petition zu Cannabis als Medizin im Jahr 2015 gehört. In einem Artikel vom 11. Februar 2015 in der Huffington Post Deutschland hatte ich von einem Cannabis-Eigenanbau-Verhinderungsgesetz gesprochen, zu dem die Politik durch juristische Auseinandersetzungen von Patienten gezwungen wurde.
Das schließlich verabschiedete Gesetz geht jedoch weiter, als die Bundesregierung aufgrund der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts gezwungen wurde. Wie lässt sich erklären, dass ein CDU-geführtes Bundesgesundheitsministerium und eine Drogenbeauftragte der Bundesregierung aus der CSU das neue Gesetz unterstützen? Warum wurde dieses Gesetz einstimmig vom Bundestag ohne Gegenstimmen verabschiedet?
Zuletzt ging es um den Abbau von Ängsten der Entscheidungsträger, dass die Legalisierung zu medizinischen Zwecken der erste Schritt zur generellen Legalisierung sein könnte. Und es ging um die Erkenntnis, dass dieses Gesetz wirklich der Verbesserung der Gesundheitsversorgung dient. Wir kennen es alle. Wenn von Cannabis die Rede ist, haben viele konservativen Politiker und auch viele Ärzte gleich abgeschaltet, bevor überhaupt ein Gespräch möglich war. Es ging daher darum, Vertrauen aufzubauen. Es ging darum, wirklich in einen Dialog zu treten, in dem man sich gegenseitig zuhört, um eine gute Lösung zu finden.
Die Ebenen des Kampfes
Es gab während des mehr als 20 Jahre währenden Kampfes für die Verwendung von Cannabis als Medizin immer mehrere, parallel laufende Ebenen und Ziele, die alle wichtig waren.
Die wissenschaftliche Diskussion
Dabei ging es darum, das Niveau der wissenschaftlichen Diskussion unter Ärzten und anderen Experten anzuheben, um ein genaueres Bild von Cannabis und Cannabinoiden in der wissenschaftlichen Diskussion in Deutschland zu erzielen. Vor 20 Jahren wurden zum Teil die unglaublichsten Behauptungen unwidersprochen in Fachzeitschriften veröffentlicht. Ich erinnere mich daran, dass ein Polizeihauptkommissar in der Deutschen Apotheker Zeitung eine Übersicht zu den Gefahren des Cannabiskonsums schreiben konnte. Das wäre heute undenkbar. Wichtig waren auch Newsletter, wie die IACM-Informationen, um das Wissen um Cannabis und Cannabinoide leicht zugänglich zu machen.
Die öffentliche Debatte
Dabei ging es darum, die Medien und schließlich die Bevölkerung für das Thema Cannabis als Medizin zu sensibilisieren. Die meisten Medien (Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen) haben die Sache bereits sehr früh unterstützt. Eine von der ACM in Auftrag gegebene Umfrage des Allensbach-Instituts ergab bereits vor mehr als 10 Jahren eine deutliche Unterstützung für die medizinische Verwendung von Cannabis selbst unter CDU-Wählern.
Die politische Debatte
Dabei ging es darum, Politiker für das Thema zu gewinnen. Ein wichtiges Element war die Versicherung, dass die Mehrheit der Bevölkerung Erleichterungen des Zugangs zu Cannabis als Medizin unterstützt. Sowohl an der öffentlichen Debatte als auch an der politischen Debatte waren Patienten stark beteiligt, in dem sie sich an die lokalen und überregionalen Medien oder Politiker ihrer Region gewendet haben. Zunächst waren nur die Grünen und die Linken eindeutige Unterstützer. Es ging dabei nicht nur um den Gewinn der Köpfe, sondern auch den Gewinn der Herzen von Politikern in allen Bundestagsfraktionen.
Der Gewinn von Bündnispartnern und Unterstützern
Dabei ging es sowohl um Unterstützer aus dem politischen Raum, aber auch um Unterstützung der Thematik durch Selbsthilfegruppen und medizinische Gesellschaften sowie auch einzelne bekannte Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Bereichen. Beispielsweise hat der verstorbene Schauspieler Dirk Bach uns wiederholt unterstützt.
Die juristische Auseinandersetzung
Dabei ging es vor allem um Freisprüche bei illegalem Cannabisanbau von Patienten. Der erste Freispruch erfolgte 2003. Letztlich zum Erfolg hat erheblich die Verfassungsbeschwerde von 8 Patienten aus dem Jahr 1999 geführt. Denn diese führte zur Durchsetzung von Ausnahmeerlaubnissen durch die Bundesopiumstelle für die Verwendung von Cannabisblüten bei sonst austherapierten Patienten (2007) und zur Durchsetzung einiger Erlaubnisse zum Eigenanbau von Cannabis durch Patienten (2016) durch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
An der Erfolgsgeschichte haben viele mitgewirkt: Patienten, Ärzte, Wissenschaftler, Journalisten, Politiker, Juristen, Aktivisten. Es war ein Gemeinschaftsprojekt, das Ausdauer verlangt hat, mit wechselnden Herausforderungen, Entwicklungen und Überraschungen.
Einige Ereignisse auf dem Weg zum Gesetz
Ein Gutachten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 2. November 1995 auf Anforderung der Bundesregierung, war die Grundlage für die Beantwortung einer kleinen Anfrage im Deutschen Bundestag (Bundestagsdrucksache 13/3282). In dem Gutachten hieß es: „So entbehrt sowohl eine unkritische Euphorie hinsichtlich der therapeutischen Möglichkeiten von Cannabis bzw. THC der Grundlage wie andererseits eine auf entgegengesetzten Positionen resultierende generelle Ablehnung mit der Behauptung, es gebe „auf jedem Gebiet bessere therapeutische Alternativen.“ Damit hatte eine Behörde des Bundes erstmals den medizinischen Wert von THC bzw. Cannabis akzeptiert. Dies führte schließlich zur Verschreibungsfähigkeit von Dronabinol/THC im Februar 1998.
Die Gründung der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin erfolgte am 12. April 1997 in Köln. In den Vorstand wurden gewählt: Dr. med. Franjo Grotenhermen (1. Vorsitzender), Dr. med. Thomas Poehlke (2. Vorsitzender), Joachim Biermanski (Verein Grüne Hilfe), Robert Schönberger und Volker Steimel (Redakteur der Zeitschrift Hanf!). Die Idee war ein gemeinsamer Verein von Ärzten, Apothekern, Juristen, Patienten und Aktivisten, um sich gegenseitig zu unterstützen und Aktivitäten zu koordinieren. Bereits am 22. November 1997 fand die erste Fachtagung der ACM „Cannabis und Cannabinoide als Medizin“ in Köln statt. In einem Grußwort hieß es: „Der erwiesenermaßen nützliche medizinisch-therapeutische Einsatz von Cannabis muss legal möglich werden, damit die derzeitige Kriminalisierung von Ärzten und Patienten endlich aufhört.“ (Dr. med. Ingo Flenker, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Vorsitzender des Ausschusses Sucht und Drogen der Bundesärztekammer)
Im Februar 1998 wurde der Cannabiswirkstoff Dronabinol in Deutschland von der Anlage II in die Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes eingestuft, sodass das Cannabinoid verschreibungsfähig wurde. Da eine Behandlung mit Dronabinol von den Krankenkassen nicht erstattet wurde, hatten nur wenige Patienten Zugang zu einer solchen Therapie. Die Verfassungsbeschwerde von 1999 hat hier angesetzt. Wir haben kritisiert, dass es nicht sein darf, dass nur Reiche von dieser Verschreibungsfähigkeit profitieren konnten.
Bei der Tagung „Medical Marijuana“ in Frankfurt vom 2. bis 4. Dezember 1998 haben die AIDS-Hilfen und die Hessische Gesellschaft für Demokratie und Ökologie die Frankfurter Resolution zur medizinischen Verwendung von Marihuana vorgestellt. Die Resolution besagte:
"In der Erkenntnis, daß zur Heilung Kranker und zur Minderung ihres Leids alle menschenwürdigen medizinischen Möglichkeiten auszuschöpfen sind, fordern wir den Bundestag auf:
1. Die medizinische Nutzung von Marihuana zu erlauben,
2. zu therapeutischen Zwecken auch die rauchbare Anwendung natürlichen Marihuanas zu gestatten,
3. die medizinische Verwendung von Marihuana begleitend wissenschaftlich zu erforschen und diese Forschung zu fördern."
Zur Unterstützung der Resolution wurden 11.000 Unterschriften gesammelt und der Drogenbeauftragten, Christa Nickels von den Grünen, übergeben.
Am 14. Dezember 1999 haben acht Mandanten von Lorenz Böllinger, Professor an der Universität Bremen, und Robert Wenzel, Assistent von Prof. Böllinger, vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen das Verbot der medizinischen Verwendung von Cannabis eingelegt. Die Mandanten litten an verschiedenen Erkrankungen (Multiple Sklerose, HIV-Infektion, Hepatitis C, Migräne, Tourette-Syndrom, Epilepsie), darunter die inzwischen verstorbene Irene Weber sowie Michael Fischer, der bis 2016 weiter klagte, bevor er erfolgreich vor dem Bundesverwaltungsgericht den Eigenanbau für persönliche Zwecke durchgesetzt hatte. Das Bundesverfassungsgericht entschied am 20. Januar, dass Patienten eine Ausnahmeerlaubnis bei der Bundesopiumstelle für die Verwendung von Cannabis beantragen können. Allerdings wurden alle Anträge abgelehnt. In einem Kommentar zum Beschluss des Gerichts schrieb ich am 8. Februar 2000: "Es bleibt abzuwarten, ob das BfArM sich zukünftig weiterhin so strikt ablehnend verhält wie bisher. Mittelfristig ist es sicherlich kein sinnvoller Zustand, dass das Institut in einem langwierigen Verfahren über die Behandlungswürdigkeit eines Patienten mit Cannabis entscheidet. Dies sollte, wie bei anderen Medikamenten auch, die Entscheidung des behandelnden Arztes in Abstimmung mit seinem Patienten sein. Die Ausführungen des BVerfG können jedoch als weiterer Ansatzpunkt gesehen werden, der Bewegung in die unbefriedigende rechtliche Situation bringen kann und daher genutzt werden sollte. Sie können auch als Aufforderung an die Politik verstanden werden, rechtliche Grundlagen für eine medizinische Verwendung von Cannabisprodukten zu schaffen und das Betäubungsmittelgesetz entsprechend zu ändern." Die Politik ist dieser Aufforderung allerdings erst 15 Jahre später nachgekommen, aber besser spät als nie.
Am 28. Juni 2000 befürwortete der Petitionsausschuss des Bundestages eine Petition der Selbsthilfegruppe Cannabis als Medizin in Berlin und der ACM für die Möglichkeit einer medizinischen Verwendung natürlicher Cannabisprodukte und einzelner Cannabinoide. Am 6. Juli folgte der Deutsche Bundestag der Empfehlung des Petitionsausschusses und überwies die Petition "zur Berücksichtigung" an die Bundesregierung. Mit den Stimmen der Ausschussmitglieder von PDS, Grünen und SPD, gegen die Stimmen der CDU/CSU und bei Enthaltung der FDP hatte der Petitionsausschuss sich für die Petition ausgesprochen, weil das vorgebrachte Anliegen begründet sei. Der Ausschuss kam zu dem Ergebnis, dass Cannabis vielen Erkrankten hilft, "ihre Erkrankungen zu heilen bzw. zu lindern und ihr Leben wieder lebenswert zu gestalten"
Die Vorstandsvorsitzenden der ACM und der IACM haben am 24. Juni 2002 alle Bundestagsabgeordneten angeschrieben und sie gebeten, sich für einen neuen Paragraphen im Betäubungsmittelgesetz, einen § 31b, einzusetzen, der es Richtern und Staatsanwälten ermöglichen würde, bei medizinischer Verwendung sonst illegaler Cannabisprodukte unter bestimmten Bedingungen von der Strafverfolgung abzusehen.
Am 27. November 2003 erhielt Michael Große aus Berlin, der an einer entzündlichen Darmerkrankung litt, dem so genannten Morbus Crohn, die richterliche Erlaubnis zum Anbau und zur Verwendung von Cannabis. Der zuständige Richter am Amtsgericht Tiergarten in Berlin urteilte, dass sich der Angeklagte in einer Notstandslage befunden habe und die medizinische Verwendung von Cannabis daher gerechtfertigt sei.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe urteilte 2014, dass die Einnahme von Cannabis zur medikamentösen Behandlung aus Notstandsgesichtspunkten gerechtfertigt sein kann. In einer Pressemitteilung schrieb das Oberlandesgericht: „Dies hat heute der 3.Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe entschieden, jedoch an das Vorliegen einer Straffreiheit strenge Anforderungen geknüpft.
Im August 2005 startete die Hanfapotheke. Im ACM-Rundbrief hieß es damals:„Die Hanfapotheke soll Schwerkranken helfen, Cannabis zu medizinischen Zwecken zu erhalten, denn die Betroffenen können nicht warten, bis die Politik akzeptable Lösungen findet, und auch die Ratschläge des Bundesverfassungsgerichts sind nicht realitätstauglich. Den Cannabis erhalten sie von anonymen Spendern, die den Betroffenen konkret helfen möchten.“ Die Hanfapotheke hat bis zum Sommer 2007 gearbeitet, als die erste Patientin eine Ausnahmeerlaubnis für die Verwendung von Cannabis durch die Bundesopiumstelle erhielt.