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grow! Magazin

Warum das Betäubungsmittelgesetz kein Gesetz über Betäubungsmittel ist

Authors
Franjo Grotenhermen

Viele Patienten, die Cannabis aus medizinischen Gründen verwenden, kennen das. Da steht im Arztbericht etwas über „Cannabismissbrauch“, obwohl Cannabis aus medizinischen Gründen verwendet wurde. Von Missbrauch kann nur gesprochen werden, wenn die Substanz, in diesem Fall Cannabis, „Leiden oder Beeinträchtigungen verursacht“.

Bei einer medizinischen Verwendung ist das Gegenteil der Fall: Leiden wird durch Cannabis gelindert.

Dabei sollten Ärzte und Wissenschaftler eigentlich genaue und neutrale Begriffe verwenden, die die Menschen nicht von vornherein in eine negativ belastete Schublade stecken, in die sie nicht gehören. Zudem ist der Begriff Missbrauch auch selbst bereits ein nicht neutraler Begriff. Die Wortwahl sagt häufig mehr über den Arzt oder Wissenschaftler aus als über die Personen, über die sie sprechen.

Wissenschaftler rufen zu einer neutralen und präzisen Wortwahl auf

Kürzlich haben fünf Wissenschaftler, die fünf medizinische Gesellschaften vertreten, dazu aufgerufen, in medizinischen Zeitschriften dafür Sorge zu tragen, dass Autoren im Umgang mit psychoaktiven Substanzen eine Sprache bzw. eine Terminologie verwenden, die neutral, präzise und respektvoll ist. Zu diesen Gesellschaften zählen beispielsweise die Internationale Gesellschaft für Hospiz und Palliativversorgung und die Weltgesellschaft für die Behandlung der Opiatabhängigkeit. Aus Deutschland hat Professor Lukas Radbruch von der Klinik für Palliativmedizin der Universität Bonn teilgenommen.

Es ist bekannt, dass Sprache stigmatisieren, also Menschen aufgrund bestimmter Merkmale herabwürdigen kann. Ein einfaches Beispiel ist die Bezeichnung von Patienten, die Cannabis aus medizinischen Gründen verwenden, als Kiffer. Es gibt Untersuchungen, nach denen Personen, die Substanzen verwenden, häufiger stigmatisiert werden als Personen mit Übergewicht oder Tabakraucher. Es gibt auch Hinweise, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen schlechter behandelt werden, wenn sie psychoaktive Substanzen konsumieren.

Eine angemessene Sprache sollte sich auf alle Menschen beziehen, die psychoaktive Substanzen verwenden. Sie sollte negative Worte vermeiden. Es ist nicht immer einfach, sich darauf zu verständigen, was denn neutral, präzise und respektvoll im konkreten Fall in einem bestimmten Land zu einer bestimmten Zeit bedeutet. Schließlich kann sich das in verschiedenen Kulturen und zu verschiedenen Zeiten unterscheiden.

Die Arbeitsgruppe hat 23 problematische Begriffe identifiziert und mögliche Alternativen vorgeschlagen. In einer Fachzeitschrift (Scholten W, et al. Public Health 2017;153:147-153) schrieben die Autoren dazu: „Die Verwendung einer angemessenen Sprache verbessert die wissenschaftliche Qualität von Artikeln und erhöht die Chancen, dass Patienten die beste Behandlung bekommen, und dass die Politik von Regierungen zu psychoaktiven Substanzen rational wird.“

Kulturelle, zeitliche und geographische Variationen

Die Angemessenheit von Begriffen ist nicht absolut. Sie hängt von der Wahrnehmung eines Wortes durch den, der sie gebraucht, und von den Empfängern der Mitteilung ab. Das bedeutet auch, dass sie sich mit der Zeit verändert. Das bedeutet zudem, dass sie von verschiedenen Personengruppen unterschiedlich wahrgenommen wird. Beispielsweise gibt es leichte Unterschiede zwischen dem Englisch in Großbritannien, Nordamerika und Indien. Wenn man Begriffe in andere Sprachen übersetzten will, kann das zu einer anderen Wahrnehmung führen. Ein Beispiel ist das Wort Marihuana, das in verschiedenen Ländern unterschiedliche Assoziationen hervorruft.

Das hat auch Auswirkungen darauf, welche Begriffe in Zeitschriften oder offiziellen Texten von Behörden oder Regierungen verwendet werden sollten. Es ist wichtig, dass Autoren und Redner nicht aufhören, über die Konsequenzen ihrer Sprache nachzudenken und sich darüber auszutauschen.

Unerwünschte Terminologie

Es gibt undefinierte und schlecht definierte Begriffe, deren Verwendung zu einer ungenauen Sprache führt und die Qualität der Wissenschaft beeinträchtigt. Die Autoren haben festgestellt, dass einige Menschen Definitionen für bestimmte Begriffe verwenden, die genau das Gegenteil von dem bezeichnen, auf was man sich international eigentlich geeinigt hat. 

Für viele alternative sinnvolle Begriffe ist nach Auffassung der Arbeitsgruppe die Diskussion noch offen. Es sei auch nicht immer einfach, gute Alternativen zu finden. Beispielsweise sei der Begriff „Addiction“ (englisch für Abhängigkeit) bereits im Jahr 1963 durch eine Expertengruppe der WHO kritisiert worden. Das Komitee betrachtete den Begriff als verwirrend. Er wurde später durch „Dependence“ ersetzt. Der andere Begriff wird jedoch weiterhin verwendet.

Problematische Begriffe und mögliche Alternativen

Hier sind einige Begriffe, die von der Arbeitsgruppe in der englischen Sprache als problematisch identifiziert wurden. In der deutschen Sprache bedeuten sie ungefähr folgendes:

• Missbrauch

• Abhängiger

• Abhängigkeit

• Abhängig machende Substanz

• Entgiftung

• Droge

• Drogenkonsument

• Drogenkontrollkonventionen

• Illegale Substanz

• Junkie und ähnliche Begriffe

• Betäubungsmittel

• Körperlich Abhängigkeit

• Ersatztherapie oder Opiat-Ersatztherapie

Die Autoren schlagen vor, diese Begriffe nicht mehr zu verwenden, auch wenn sie in bestimmten Zusammenhängen akzeptabel sein können, insbesondere dann, wenn mögliche Alternativen wesentlich länger als die ursprünglichen Begriffe sind. Im Folgenden einige Beispiele, die von den Autoren diskutiert wurden.

Missbrauch

Der Begriffen Missbrauch kann wertend bzw. abwertend sein. Er suggeriert, dass sich Personen bewusst nicht richtig verhalten und negiert die Tatsache, dass Substanzkonsumsstörungen Krankheiten sind. Zudem muss im konkreten Fall geschaut werden, ob hier wirklich eine Substanzkonsumsstörung vorliegt oder nicht vielmehr eine sinnvolle Selbstmedikation, auch wenn diese illegal ist. Bessere Begriffe sind „Nicht-medizinische Verwendung“ oder „Konsum“. Es gibt überlappende Begriffe, wie beispielsweise gefährlicher Konsum oder Freizeitkonsum.

Abhängiger

Das reduziert eine Person auf ein bestimmtes Charakteristikum. Es kann unter bestimmten Bedingungen stigmatisierend und abwertend sein. Mögliche Alternativen sind „eine Person mit einer Substanzkonsumsstörung“ oder „eine Person mit einer Abhängigkeit“. Niemals ist eine Person nur ein Abhängiger, sondern er ist darüber hinaus möglicherweise noch Vater, Ehemann und Handwerker, etc. Niemand ist eine Person nur durch ihre Erkrankung definiert.

Entgiftung

Das ist ein irreführender Begriff. Er suggeriert, dass die Behandlung einer Abhängigkeit einfach das Auswaschen einer Substanz bedeutet. Bessere Alternativen sind „in Behandlung zur Beendigung oder Reduzierung der Verwendung einer psychoaktiven Substanz“ oder „medizinisch begleitetes Ausschleichen einer psychoaktiven Substanz“.

Droge

Das ist ein unklarer Begriff, insbesondere wenn eine psychoaktive Substanz gemeint ist. Besser ist je nach Kontext „Medikament“ oder „psychoaktive Substanz“ zu verwenden. Im Deutschen wurden als Drogen ursprünglich getrocknete pflanzliche Heilmittel bezeichnet. Der Begriff kommt ursprünglich aus dem niederländischen. Das niederländische „droog“ bedeutet „trocken“. Insbesondere unter Laien, aber auch von Journalisten und Politikern wird der Begriff Droge meistens für rauscherzeugende Substanzen verwendet. Viele Menschen wenden den Begriff zudem nur für psychoaktive Substanzen an, die nach den deutschen Gesetzen für nicht-medizinische bzw. nicht-wissenschaftliche Zwecke verboten sind.

Drogenkonsumenten

Hier gilt die für den Begriff „Abhängiger“ zu kritisierende Haltung. Der Begriff „Drogenkonsumenten“ reduziert Personen auf ein bestimmtes Charakteristikum. Zudem ist der Begriff „Droge“ ungenau (siehe oben). Besser ist „Personen, die psychoaktive Substanzen verwenden“.

Illegale Substanz

Das ist ein irreführender Begriff. Nicht die Substanz selbst sich illegal, sondern die Produktion, der Verkauf und der Konsum in bestimmten Ländern für bestimmte Personengruppen. Häufig dürfen diese Produkte von Ärzten oder Wissenschaftlern unter bestimmten Voraussetzungen legal genutzt, erforscht oder verschrieben werden. Besser ist der Begriff „kontrollierte Substanz“, um zu dokumentieren, dass sie einer strengen staatlichen Kontrolle, die die Rechte der Bürger einschränkt, unterliegen.

Junkie

Dieser und ähnliche Begriffe sind abwertend und stigmatisierend. Besser ist „Person, die eine psychoaktive Substanz konsumiert“ oder „Person mit einer Substanzkonsumsstörung“. Einige Begriffe, mit denen Personen, die psychoaktive Substanzen verwenden, werden insbesondere in der populärwissenschaftlichen Literatur bewusst als abwertende Begriffe verwendet. Der Begriff „Säufer“ drückt etwas anderes aus als der Begriff „Person mit einer Alkoholkonsumsstörung“.

Betäubungsmittel

Das ist ein alter und überholter Begriff, der sich auf eine pharmakologische Eigenschaft bezieht, die nur für einen Teil der Substanzen zutrifft, die als Betäubungsmittel bezeichnet werden. Viele Betäubungsmittel betäuben nicht. Der Begriff Betäubungsmittel suggeriert, dass die Substanz als Nebenwirkung die Auslösung von Schlaf hat. Ein besserer Begriff ist „psychoaktive Substanzen“ oder jeweils spezifisch „analgetische Opioide“, „Stimulantien“, etc. Damit ist auch der Begriff „Betäubungsmittelgesetz“ überholt und ungenau.

Körperliche Abhängigkeit

Das ist ein irreführender Begriff. Er bezieht sich im Allgemeinen auf Entzug und Toleranzbildung, die aber keine Abhängigkeit ausmachen, nach der Definition der Abhängigkeit. Wer also den Begriff körperliche Abhängigkeit verwendet, muss erklären, warum es nicht Abhängigkeit ist. Das ist verwirrend. Es ist besser von „Entzug“ oder „Toleranzbildung“ zu sprechen, weil für das Vorliegen einer Abhängigkeit noch weitere Voraussetzungen vorliegen müssen, wie beispielsweise: „Starker Wunsch oder Zwang, die Substanz zu konsumieren“ oder „Der Substanzgebrauch hält an, obwohl schädliche Folgen eintreten, deren sich der Konsument bewusst ist, z.B. Leberschaden durch Alkohol“.

Ersatztherapie oder Opiat-Ersatztherapie

Das ist eine irreführende Sprache, da sie Politikern und Laien suggeriert, dass diese Therapie Drogen von der Straße durch medizinisch oder staatlich erlaubte Drogen ersetzt. Besser ist „Opioidagonist-Therapie“.

Schlussfolgerung

Die Verwendung einer neutralen, genauen und respektvollen Sprache hat Auswirkungen auf die wissenschaftliche Qualität von Manuskripten. Sie erhöht die Chancen, dass Patienten die richtige Behandlung bekommen werden. Sie erhöht auch die Chance, dass Politiker und Behörden rationale Entscheidungen hinsichtlich der Politik zu psychoaktiven Substanzen treffen. Der Sprachgebrauch ist Teil des Niveaus bzw. der Qualität eines Textes. Es ist wichtig, in einer nicht stigmatisieren Art und Weise zu schreiben.

Auch Dokumente von nationalen oder internationalen Regierungsorganisationen sollten die oben genannten Begriffe vermeiden. Es ist zudem wünschenswert, dass diese Wörter auch nicht in anderen Zusammenhängen verwendet werden. Die Autoren des Appells für eine respektvolle und neutrale Sprache schrieben in ihrem Beitrag: „Wir denken, dass diese Worte Patienten oder Menschen, die psychoaktive Substanzen verwenden, keinen Respekt vermitteln. Sie verbessern auch nicht die Haltung zwischen Beschäftigten im Gesundheitswesen, Politikern und der Öffentlichkeit, die das Recht auf eine angemessene Behandlung von Schmerzpatienten, Patienten mit Substanzkonsumsstörungen und anderen, die kontrollierte Medikamente verwenden, anerkennen. Allerdings behaupten wir nicht, dass alle Begriffe, wenn sie verwendet werden, gleichermaßen negativ sind. Das liegt an unserer Auffassung, dass es kulturelle, geographische, und zeitliche Variationen der Wahrnehmung gibt. Es ist wichtig, dass jeder Autor und jeder Sprecher sich der Wirkungen seiner oder ihrer Wörter oder Kommentare bewusst ist.“ Die Autoren betonen weiter, dass Menschen, die psychoaktive Substanzen verwenden, den gleichen Respekt verdienen, dem wir Patienten zugestehen, die keine psychoaktiven Substanzen benötigen oder verwenden.